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Hike & Bike

raus aus der Komfortzone, rein in den Sonnenaufgang

Ein gleißendes Licht und ein ohrenbetäubendes Kreischen durchbrechen meinen tiefen Schlaf. Verwundert und mit brennenden Augen taste ich nach meinem Handy, das wohl absichtlich außer Reichweite liegt. 02.20 steht am Display. Ein paar Minuten Gewöhnung, dann schalte ich das Zimmerlicht an und wieder durchfährt ein simpel gesagt unguter Schmerz meinen Körper.

„Wieso tu ich das?“

…höre ich mich mit heiserer Stimme murmeln. Eiskaltes Wasser ins Gesicht, Schnauzer aufstellen, das bereits am Vortag gerichtete Outfit überstreifen, den Rucksack ein letztes Mal checken, Reifendruck passt auch noch. Ich treffe am Parkplatz meine drei Kumpels, die ebenso geprügelt aussehen. Gestern Abend, als wir Route und Wetter checkten, wirkten wir alle ein wenig frischer. Jetzt quetschen wir drei Räder und einen Gleitschirm in und auf das Auto. Die tickende Uhr und die wenige Schlafenszeit haben die Reizschwelle unendlich weit gesenkt und einfache Tasks werden zu großen Aufgaben.

Schlussendlich fummeln wir 20 Minuten später Räder, Rucksäcke und Gleitschirm am Ausgangspunkt unserer Wanderung wieder mühsam heraus und starten die Wanderung in die stockfinstere Nacht. Die Augen brennen immer noch, Magenkrämpfe und Sodbrennen kommen jetzt hinzu. Treten ist je nach Steilheit nur bedingt möglich. Einer hat die Stirnlampe vergessen, beim anderen gibt sie nach fünf Minuten auf. Die Augen gewöhnen sich langsam an die Dunkelheit und der Forstweg ist mithilfe des Mondscheins ohne Lampen bewältigbar. Die Gondeln, die am Tag tausende Menschen beglücken, hängen bedrohlich im schimmernden Licht über uns. Sie vermitteln ein unwillkommenes Gefühl.

Der Steig beginnt und zur gleichen Zeit, als wir unsere Räder schultern müssen, sind wir gezwungen, die Handys als Leuchtmittel hinzuzuziehen. Ich schäme mich für diese Unprofessionalität, ehe ich mich auf jeden einzelnen Schritt konzentrieren muss, um nicht abzustürzen. In meiner Brust treffen Sauerstoffmangel und übernächtiges Sodbrennen aufeinander. Wir gelangen wie geplant auf den Sattel, um den sich links und rechts zwei steile Felswände erheben. Ganz weit unten funkelt schwach das Dorf, aus dem wir gestartet sind. Ungewiss, auf welche Minute die Sonne sich am Gipfel blicken lassen wird, steigt in uns subtiler Stress auf. Der Weg ist kein Weg mehr und mit Sicherheitsabstand klettern wir das felsdurchsetzte Gelände empor. Reifen und Lenker des geschulterten Rads streifen oft an Felsen, Übelkeit und Sodbrennen haben sich in Achtsamkeit und Vorsicht umgewandelt.

Der Horizont verfärbt sich, minütlich ändern sich die Farben des unbegreiflichen Panoramas um uns herum. Wir klettern das letzte, ausgesetzte Stück zum Gipfel und erreichen das Gipfelkreuz. Die paar Minuten bis zum Hervorblitzen der Sonne nutzen wir, um trockene Shirts anzulegen und einen Müsliriegel zu essen.

Der Moment, an dem die Sonne hervorblitzt und die gesamte Bergwelt um uns mit goldenem Licht flutet, lässt jede Unannehmlichkeit der vorhergegangenen Stunden vergessen. Bauchweh und diverse Brennen sind weg, das Herz wird umspült mit Glück, während die Sonnenstrahlen leicht an der Haut kitzeln. Das Gefühl, dort oben mit Freunden zu stehen und auf alles runterzuschauen, während die Welt noch schläft, ist unbeschreiblich. Selten fühle ich mich lebendiger! Surreal ist auch das Gefühl, als Michi den steilen Abhang hinunter läuft und von seinem Gleitschirm in die Lüfte getragen wird. Würde ich nicht all meine Lebenskraft aus einer Abfahrt wie der folgenden schöpfen, würde ich mich auch noch im Paragleiten versuchen. 

Doch als wir losfahren und über das goldig schimmernde Gras den Grat hinunterrollen, weiß ich, dass ich hier daheim bin und ich keinen Ort so liebe, wie den auf meinem Bike. Das Trail429 tänzelt das felsdurchsetzte Gelände bergab und spielt mit Steinen und Wurzeln, dass meine Jauchzer wohl noch ins nächste Tal zu hören sind.

Die Uhr zeigt 08.30. Während im Frühstückssaal des Hotels verschlafene Gäste herumwanken und sich Tee und Gebäck aufladen, landet ein Paragleiter direkt vorm Fenster und wenig später setzen sich drei junge Biker in Radmontur mit Elan und riesigen, zufriedenen Grinsern auf ihren Gesichtern an ihren Tisch. Selten war eine Eierspeis so hart verdient!

 

Blogbeitrag: Gerald Rosenkranz

Fotos: Michael Schröder

Tanner